Der Krieg in der Ukraine: Folgen im Arbeitsrecht

Bild zeigt die blau-gelebe Nationalflagger der Ukraine
Foto: bodkins18 / Pixabay

Muss ein ukrainischer Arbeitnehmer mit einem deutschen Arbeitgeber seiner Arbeitspflicht gegenüber einem russischen Kunden nachkommen?

Letztens kam ein Mandant zu mir mit folgendem Sachverhalt: Er stammt aus der Ukraine und arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Ingenieur für ein deutsches Unternehmen, das unter anderem nach Russland liefert. Da er russisch spricht, ist er für die russischen Kunden der Ansprechpartner.

Mit Ausbruch des Krieges hat er seinem Vorgesetzten mitgeteilt, dass er seine Arbeit aus Gewissengründen verweigert, soweit sie den Handel mit Russland betrifft. Er begründete die Verweigerung mit dem Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine. Er kommt aus dem Osten der Ukraine, wo auch seine Familienangehörigen wohnen.

Würde er seine bisherige Arbeit weiter ausüben, käme er in einen Gewissenskonflikt. Mit seiner Arbeit würde er die Russen direkt und auch indirekt im Krieg gegen die Ukraine unterstützen. Sein Arbeitgeber könne nicht von ihm erwarten, dass er hierbei behilflich sei.

Darf ich aus Gewissensgründen die Arbeit verweigern?

Der Arbeitgeber hat gemäß § 106 GewO das Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer. Das Recht gilt jedoch nicht unbegrenzt. § 106 GewO sagt schon selbst, dass „billiges Ermessen“ vom AG zu berücksichtigen ist.

Unzumutbare Weisungen darf der AG also nicht verlangen.

Wann ist eine Weisung unzumutbar?

Wann eine Unzumutbarkeit vorliegt, ist anhand folgender Punkte bei der Abwägung der Interessen zu beurteilen:

  • Welche Ziele verfolgt der Arbeitgeber?
  • Welche Interessen des Arbeitnehmers stehen der Weisung entgegen?
  • Welche Grundrechte des Arbeitnehmers sind betroffen?

Überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers, darf er die Arbeit verweigern mit der Konsequenz, dass Abmahnungen und Kündigungen des Arbeitgebers unwirksam wären.

Was sagt das Bundesarbeitsgericht?

Das Bundesarbeitsgericht geht vom subjektiven Gewissensbegriff aus. Der Arbeitnehmer muss darlegen, dass ihm wegen einer Gewissensnot aus einer spezifischen Sachlage heraus die Leistung der vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht unzumutbar ist.

Ist aus den mitgeteilten Tatsachen einen Gewissenskonflikt nachvollziehbar, sind durch eine Interessenabwägung die Belange des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers gegeneinander abzuwägen. Eine allgemeingültige Formel, wann die Interessen des Arbeitgebers die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen, gibt es nicht. Es handelt sich immer um eine Entscheidung im Einzelfall.

Was sind die Kriterien für die Interessenabwägung?

Vorhersehbarkeit

Nachteilig für den Arbeitnehmer ist zu berücksichtigen, wenn für diesen der im Streit stehende Gewissenskonflikt bereits bei der Aufnahme des Arbeitsverhältnisses vorhersehbar war. In diesem Fall sind die Interessen des Arbeitnehmers geringer zu bewerten, da er sich, obwohl er damit rechnen musste in einen Gewissenskonflikt zu geraten, in das Arbeitsverhältnis begeben hat.

Aktuelle betriebliche Erfordernisse

Besondere betriebliche Erfordernisse können im Einzelfall zugunsten des Arbeitgebers in die Interessenabwägung eingestellt werden.

Wiederholungswahrscheinlichkeit

Erst wenn die Interessenabwägung ergibt, dass die Interessen des Arbeitnehmers höher zu bewerten sind, steht fest, dass der Arbeitgeber sein Direktionsrecht überschritten hat.

Welche Konsequenzen hat es, wenn jemand berechtigt ist, aus Gewissensgründen seine Arbeit zu verweigern?

Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer weder abmahnen noch verhaltensbedingt kündigen.

Kann der Arbeitgeber aus anderen Gründen kündigen?

Einen weiteren Kündigungsgrund könnte in der personenbedingten Kündigung liegen, da dem Arbeitnehmer in diesem Fall die persönliche Eignung für die vorgesehene Tätigkeit fehlt. Allerdings ist der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung zunächst gehalten, sich um eine Umsetzung des Arbeitnehmers auf eine seiner Eignung entsprechenden Position zu bemühen. Erst wenn das unmöglich ist, kann eine personenbedingte Kündigung in Betracht kommen.

Was heißt das jetzt für meinen ukrainischen Mandanten?

Das Entstehen des Gewissenskonflikts war für meinen Mandanten bei Abschluss des Arbeitsvertrages nicht vorhersehbar. Der Einmarsch der Russen in die Ukraine hätte sich noch vor wenigen Monaten niemand vorstellen können.

Welche betrieblichen Erfordernisse der Arbeitgeber einwenden wird, sind zum Teil vorhersehbar. Neben dem Umsatz kommt die Verpflichtung zur Vertragserfüllung sowie etwaige Folgeaufträge in Betracht.

Selbstverständlich liegt auch eine Wiederholungswahrscheinlichkeit vor, da der Arbeitnehmer die Arbeit nicht nur für einen Tag, sondern zumindest für die Dauer des Krieges wird verweigern wollen.

Durfte der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung verweigern?

Ich sage: Ja. Eine Arbeitsleistung, die – sei es direkt oder auch indirekt – den Krieg gegen die eigene Bevölkerung und Familienangehörige unterstützt, kann von niemanden verlangt werden. Wann, wenn nicht in dieser Fallkonstellation, kann ein Arbeitnehmer aus seiner Gewissensfreiheit die Arbeitsleistung verweigern.

Und der Arbeitgeber?

Der Arbeitgeber hat sich zwischenzeitlich entschieden, dass Geschäft mit Russland auf Eis zu legen, wie so viele andere Firmen.

Zum Glück für meinen Mandanten.

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